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Gangsta-Rap: die letzte Bastion traditioneller Männlichkeit - Heidi Süss im Interview

Von Lea Dora Illmer.


Zur Person: Süss studierte Internationales Informationsmanagement sowie Politik- und Medienwissenschaft an der Universität Hildesheim. Sie ist seit vier Jahren Stipendiatin im interdisziplinären Graduiertenkolleg Gender und Bildung der Universität Hilesheim, wo sie zur Verhandlung hegemonialer Diskurse in der deutschsprachigen Rap-Szene promoviert. Ihre Forschungsinteressen sind neben den HipHop Studies Sozialisations- und Migrationstheorien, Geschlechts- und Männlichkeitsforschung sowie Diskurs und Sprachtheorien.


Du forschst viel zu kritischen Männlichkeitsdiskursen und der Neuverhandlung von Männlichkeiten im und durch Rap. Zuallererst einmal: Woher kommt dein Interesse dafür? Hörst du selbst Deutschrap von Männern?


Ich bin (Deutsch)Rap-sozialisiert und höre diese Musik seit meiner frühen Jugend. Abgesehen von Lauryn Hill, Lil Kimoder Gangsta BoovonThree 6 Mafia gab es damals kaum Frauen im Rap, mit deren Musik ich mich identifizieren konnte. Das Geschlecht der/des jeweiligen Rappenden war mir aber eigentlich sowieso egal. Mir ging es v.a. um die Musik bzw. um die Teilhabe an der HipHop-Kultur im Allgemeinen, also inklusive Graffiti, Breaking, Jams usw. Das hat mich sehr angesprochen! Bis zum Ende meines Studiums war das Rap-Ding eine eher private Sache. Als es dann darum ging eine längere Abschlussarbeit zu schreiben, war klar, dass es nur ein Thema gibt mit dem ich mich länger auseinandersetzen will: HipHop. So kam dann eines zum anderen und irgendwann hab ich mich quasi auf die Typen eingeschossen, was insofern Sinn macht, als dass es ja schon die Männlichkeitsbilder sind, die einen als hiphop-sozialisierte Frau am meisten irritieren. Interessanterweise ist das Thema in Deutschland auch ziemlich unterforscht.


Inwiefern bist du der Ansicht, dass Deutschrap ein geeigneter Ort ist, wo Männlichkeiten beziehungsweise Weiblichkeiten (neu) verhandelt werden können? Ist diese Musikrichtung wirklich progressiv genug?


DeutschRap ist Popkultur und Popkultur IST ein ganz ganz wichtiger sozialer Ort, an dem Vorstellungen von Geschlecht verhandelt werden, das steht schonmal fest. Inwiefern Rap dafür besonders ‚geeignet‘ ist, ist eine schwierige Frage. In der Überzeichnung und Vereindeutigung von Geschlechterbildern spielt Rap auf jeden Fall ganz vorne mit, Stichwort Hypermaskulinität. Da bietet Rap natürlich gerade jenen ein Identifikationsangebot, deren Identitätsarbeit ganz besonders ‚in the making‘ oder von Brüchen gekennzeichnet ist. Das ist z.B. in der Jugend/Adoleszenz oder im Kontext von Flucht und Migration der Fall. Deswegen sollte man die Überbetonung von Männlichkeit – wie wir sie im HipHop/Rap finden – auch immer mit Bewältigung und Kompensation zusammendenken, Stichwort: Rassismuserfahrung. Besonders modern kommen die Rap-Männlichkeitsbilder gerade im Mainstream dann natürlich nicht daher. Auch deshalb, weil diese ‘Männlichkeitsarbeit’ über die Abwertung von Frauen funktioniert und sich dann in sexistischen Textzeilen materialisiert, die an Abgefucktheit teilweise ja nicht zu überbieten sind, wenn ich das mal so ausdrücken darf.


Trotzdem und egal ob problematisch oder ob inszeniert oder ‘real’: Als letzte Bastion traditioneller Männlichkeit regt Gangsta-Rap gesellschaftliche Debatten zum Thema Geschlecht und Männlichkeit an und dient außerdem vielen als Negativbild, um sich kritisch von derartigen Männlichkeitsbildern abzugrenzen.


Was Sexismus, Rassismus und Homophobie im Deutschrap angeht, scheiden sich ja die Geister. Die einen sind der Meinung, dass jegliche Art von sprachlicher Diskriminierung untersagt sein sollte und die Jugend verdirbt, die anderen berufen sich auf Kunstfreiheit, Ironie, humoristische Momente und gattungsinterne Vorgaben. Wieder andere sehen das Ganze differenzierter und verweisen auf die Entstehungsgeschichte und den Kontext, indem sich die Hip-Hop-Kultur befand und befindet. Wie und wo ordnest du deine Position als Expertin ein? Und wie wichtig ist bei alledem die Intention der Künstlerinnen?


Als weibliche, hiphop-sozialisierte Männlichkeitsforscherin und bekennender Rap-Fan in Personalunion, bin ich mitten drin in diesem Dilemma! Wenn man eng mit einer bestimmten Szene und deren (vergeschlechtlichten) Wertekanon sozialisiert ist und wenn man einer Szene und deren Protagonist_innen zu großen Teilen die Sensibilität und das Reflexionsvermögen bezüglich Geschlechterfragen verdankt, dann ist die Versuchung groß, eine Verteidigungshaltung einzunehmen. Das gesellschaftliche Bild von Rap ist verzerrt genug, da will man bzw. Frau ungern Öl ins Feuer gießen. Gleichzeitig kann und will man vieles, was in Raptexten geäußert und in Musikvideos gezeigt wird, natürlich nicht einfach so unkommentiert stehen lassen. Schon gar nicht als Geschechterforscherin. Ich persönlich habe mein anfängliches Verletzt-sein durch Raptexte und Bilder nicht in eine Anti-Haltung á la ‘Rapper sind sowieso alle nur peinlich’ verwandelt oder bin spontan Punkerin geworden, sondern habe angefangen, mir so eine Art Werkzeugkasten zu erarbeiten. Der Zusammenhang ‘Geschlecht im HipHop/Rap’ ist superkomplex! Da reicht ein einfacher Sexismus-Stempel einfach nicht. Um besser verstehen zu können, wieso die Dinge sind, wie sie sind, muss man sich mit postkolonialen Theorien, Fragen von Genre und Textsorte, Männlichkeits- und Sozialisationstheorien, Migration und sozialer Ungleichheit, mit Lesarten, Rezeptionsstrategien und vielem mehr beschäftigen. Außerdem finde ich es wichtig, die eigene Sprecher_innenposition kritisch im Blick zu behalten, schließlich schreibe ich als weiße* weibliche Akademikerin über eine Schwarze Kultur und über migrantische Männlichkeiten. Aus Szene-Perspektive sowieso ganz dünnes Eis. Andererseits: Wer aus den ‘ernsten Spielen des Wettbewerbs’ ausgeschlossen ist – wie Bourdieu die Rolle von Frauen in den männlich dominierten Machtfeldern definiert – der bzw. die kann das ganze von einem distanzierten Standpunkt aus betrachten und mit «amüsierter Nachsicht die verzweifelten Anstrengungen des ‘Kind-Mannes’, den Mann zu spielen, und die Anfälle von Verzweiflung, in die ihn sein Scheitern stürzt, (…) betrachten» (Bourdieu, Die männliche Herrschaft, 2016 ,S.134).


Noch schnell zum zweiten Teil der Frage: Die Intention von Künstler_innen ist natürlich wichtig. Aber es steht auch immer die Frage im Raum, wie die Rezipierenden die jeweilige Message dekodieren. Ein Text kann ja mehrere Bedeutungen haben und trifft auf Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Kapital und Rezeptionsstrategien. DeutschRap-Hymnen wie Kokaina (Miami Yacine) oder Kokain (Raf & Bonez) sind vielleicht als melodiöse Party-Songs gemeint und keine direkte Aufforderung zum Koksen. Trotzdem wird Drogenkonsum (und Sex ohne Kondom) dort als Bestandteil einer erfolgreichen Männlichkeitserzählung stilisiert. Das finde ich schon gefährlich, wenn ich mir die Zielgruppe so ansehe.


Du hast dich intensiv mit Hip-Hop-Feminismus auseinandergesetzt und den äusserst lehr- und aufschlussreichen Eintrag dazu im Gender Glossar verfasst. Wie funktionieren feministische Empowerment-Strategien im gegenwärtigen Deutschrap? Genauer gesagt: Wenn wir Lady Bitch Ray oder SXTN betrachten, wird oft die Kritik laut, dass Frauen trotz Selbstaneignung, Empowerment und Sexpositivismus stets in den Rollen verhaften, die das männlich geprägte Genre für sie bereithält. Die Strukturen, die die Frauen umgeben, sind nicht von ihnen selbst geschaffen und erlauben ihnen somit keine vollwertige Sprecherinnenposition, solange sie sich gattungsintern bewegen. Teilst du diese Ansicht?


Danke für die Blumen :-). Dass es sowas wie HipHop-Feminismus gibt, war ein echtes Erweckunsgerlebnis für mich!


Das ist eine klassische Frage und ich spoiler auch gleich mal: Sie ist nicht eindeutig oder befriedigend beantwortbar! Es gibt immer verschiedene Perspektiven auf die Frauen-im-Rap-Frage. Das hängt quasi mit der jeweiligen theoretischen Brille zusammen, mit der man auf Rap guckt. HipHop-feministisch argumentiert, würde ich dafür plädieren, sich mit der Unbeantwortbarkeit dieser Frage und der Ambivalenz der Sache abzufinden. Du kannst immer sagen: Ja, das ist feministisch für mich. Sie empowert sich, erobert sich die Kontrolle über den weiblichen Körper/Sexualität zurück, ‚dreht den Spieß um‘, spielt mit dem männlichen Blick, eignet sich männlich codierte Sprechweisen an, verdient auch noch gutes Geld damit und ist ein Vorbild für viele junge Mädchen. Mission accomplished.


Dann kannst du aber immer auch argumentieren, dass die Selbst-Pornografisierung traditionelle Bilder von Weiblichkeit festschreibt (z.B. Lady Bitch Ray), dass hier der männliche Habitus imitiert wird (z.B. SXTN) oder dass wir es hier mit einem neoliberalen Feminismus zu tun haben, der Freiheit über die ‚Arbeit am Selbst‘ definiert (z.B. am Körper/Schönheit), für Feminismus als politische Bewegung wenig übrig hat und sich perfekt in die neoliberale Logik einfügt (z.B. Shirin David oder Eunique).

Solche Zusammenhänge führen im Prinzip immer zurück zu den ganz großen Fragen. Ist der Feminismus im Neoliberalismus aufgegangen und ist das jetzt gut oder schlecht? Können wir Macht auch losgelöst von Männlichkeit denken? usw. und so fort…

Ich möchte mich mit einer eindeutigen Positionierung an dieser Stelle zurückhalten. Eunique, Haiyti oder Juju (ehemals SXTN) gehören meiner Ansicht nach zu den talentiertesten Rappenden, die Deutschland je gesehen hat und sie laufen bei mir seit Jahren auf Dauerschleife. Wie übrigens auch Kokaina von Miami Yacine. Es bleibt also kompliziert 😊.


Und zuletzt noch eine etwas offenere Frage: Was muss geschehen, damit (noch) mehr Frauen und quenderqueere Personen rappen?


Dass Frauen und nicht-binäre Personen in ehemals männlich dominierte Machtfelder vordringen und dort wichtige Positionen besetzen, ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Da ist es nur logisch, dass auch die männliche Hegemonie (Vorherrschaft) im Rap langsam bröckelt. Damit gut klarzukommen, ist jetzt vor allem eine Sache der Männer, denn leider sind solche Öffnungsprozesse oft von entgegengesetzten Tendenzen wie Remaskulinisierung und Antifeminismus begleitet (siehe Kollegahs Bosstransformation und Alpha-Buch). Ich glaube es wäre insgesamt gut, mehr über Männlichkeit zu sprechen, anstatt die wenigen Frauen ständig auf ihre feministische Motivation abzuklopfen und dann zwischen ‘gelungen’ oder ‘nicht gelungen’ einzuordnen. Lasst die doch einfach mal machen und lasst mal lieber mehr über Männer reden, zum Beispiel bei Veranstaltungen zu ‘Sexismus im Rap’. Da sitzen immer nur Frauen in solchen Runden, quasi die «Betroffenen». Aber wo sind die Typen? Außerdem brauchen wir einen kritischeren Szene-Journalismus. Das Output der 187 Strassenbandezum Beispiel wird von den immernoch meist männlichen Szenejournalisten seit Jahren unreflektiert abgefeiert. Dabei sind deren Texte und Videos an Misogynie nicht zu überbieten!


Herzlichen Dank, Heidi Süss!




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